Isolation und Suchtdruck
Betreuung durch die Diakonie: So erleben Abhängige die Corona-Krise
Meppen. Die meisten Menschen erleben zurzeit tiefe Einschnitte in ihren normalen Alltag: Die eigene Wohnung wird zum Gefängnis, Ablenkung ist rar. Doch wie erleben diejenigen diese Situation, die zusätzlich mit einer Drogen- oder Spielsucht kämpfen?
Bis vor wenigen Wochen hat Lara Suntrup ihre Klienten ein- bis zweimal pro Woche in deren Privatwohnung besucht, ihnen zugehört, sie zu Behördengängen begleitet oder sie bei Problemen am Arbeitsplatz unterstützt. All das ist durch die Kontaktsperre nur noch eingeschränkt möglich. Die 31-Jährige arbeitet seit dreieinhalb Jahren bei der Fachambulanz Sucht des Diakonischen Werkes Emsland und betreut suchtmittelabhängige Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags – zurzeit nur noch telefonisch.
Missverständnisse
Das klappe nicht immer gut, weil Telefonverbindungen schlecht sein könnten oder manche Suchtkranke nicht gerne telefonieren, sagt Suntrup. Ihr selbst wäre der persönliche Kontakt auch lieber: Ohne Mimik und Gestik ergäben sich im Gespräch häufiger Missverständnisse. „Man muss schon sehr konzentriert zuhören.“ Vielen falle es außerdem schwer, sich am Telefon zu öffnen und über intimste Themen zu sprechen.
Wie Suntrup berichtet, litten viele ihrer Klienten ebenfalls unter der Unsicherheit, die die Corona-Krise mit sich gebracht hat: Sie fürchten um ihre Arbeitsstelle, ihre finanzielle Situation oder fühlen sich aufgrund der Kontaktsperren isoliert. „Das führt auch bei einigen zu Suchtdruck“, erklärt Suntrup, also dem inneren Verlangen, ihrer Sucht wieder nachzugeben. Weil manche mit ihren Familien und mit Kindern zu Hause aufeinanderhockten, hätten sie außerdem Schwierigkeiten, einen ruhigen Moment für die wöchentlichen Beratungsgespräche zu finden.
Auch die mögliche Langeweile zu Hause oder Konflikte in der Paarbeziehung könnten zurzeit dazu führen, dass bei manchen die Gefahr eines Rückfalls steige. Je länger die Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen andauerten, desto größer werde der Druck auf die Suchtkranken. Bisher sei die Situation für die meisten unangenehm, aber erträglich. „Ich denke aber, dass sich das im Laufe der Zeit dahin entwickeln wird“, ist Alexandra Kemper überzeugt. Sie leitet die Fachambulanzen Sucht in Meppen, Lingen und Papenburg. Andere profitierten aber auch von der aktuellen Situation und erlebten sie als entspannend und entschleunigend, betont die 46-Jährige. Sie gerieten allein in ihrer Wohnung weniger in Versuchung, weil niemand da wäre, der ihnen Drogen anbieten könnte.
Videochats geplant
Kemper hofft, dass sie und ihre Mitarbeiter den Klienten bald anbieten können, sich draußen zu einem Spaziergang zu treffen, natürlich mit angemessenem Abstand. So seien zumindest persönliche Gespräche wieder möglich. Geplant ist außerdem, Videochats möglich zu machen.
Zurzeit sei die Zahl der Erstberatungsgespräche allerdings niedriger als sonst, berichtet Suntrup. Sie vermutet, dass sich viele an die Telefonseelsorge wenden. Wenn die Menschen wochenlang an ihre Wohnung gefesselt sind, könnten nach einiger Zeit Abhängigkeiten auffallen, die die Süchtigen im Alltag vor ihren Partnern oder Familienangehörigen verbergen konnten. Suntrup hält es deshalb für möglich, dass sich in nächster Zeit mehr Angehörige bei der Suchtberatung melden.
2019 wurden am Standort Meppen 523 Menschen betreut: 283 von ihnen kämpften gegen die Abhängigkeit von illegalen Drogen, 222 gegen legale Substanzen und 16 gegen substanzunabhängige Abhängigkeiten wie Glückspiel- oder Sexsucht. Zwei suchten Hilfe als Angehörige von Suchtkranken.
Die Suchtberatung des Diakonischen Werkes Emsland/Grafschaft Bentheim ist unter Tel. 05931/98150 zu erreichen.
Quelle: NOZ vom 15.04.2020